11
Feb
2009
Die Lust zu schockieren
10
Feb
2009
Dass das Herz durchhält
„Es kommt darauf an“, hatte der behandelnde Arzt am Anfang noch erklärt, „dass das Herz durchhält.“
Tom hatte während dieser Tage die Arbeit seines Vaters gemacht und an Belle gedacht, die mit Frederik herumzog. Morgens brachte er die Mutter ins Krankenhaus, nachmittags holte er sie wieder ab. Zuhause musste er dafür sorgen, dass sie etwas aß und sich hinlegte, weil sie noch weniger schlief als sonst. Im Betrieb fehlten zwei von vier Frauen, die im Verkauf arbeiteten. Die eine war in Erziehungsurlaub, die andere hatte eine Sehnenscheidenentzündung und beide Unterarme in Gips. Tom musste sich mit Aushilfen herumschlagen, um den Verkauf kümmern und ums Büro.
Es war kein großes Krankenhaus, und die Intensivstation hatte bescheidene Ausmaße, nur drei oder vier Räume. Georg Boeder war schon vom Gang aus durch eine Glasfront zu betrachten, ausgestellt wie in einer Vitrine. Wenn Annelie Boeder auf die Intensivstation kam, musste sie erst einen Kittel und Plastiküberschuhe anziehen, dann durfte sie zu ihrem Mann.
Als Tom den Vater das erste Mal in der Klinik besuchte, war noch eine junge Schwester im Raum. Sie trug den üblichen Schwesternkittel, aber ihre sonnengebräunten Beine steckten in weißen Sportschuhen mit dicker Gummisohle. Der Vater selbst wirkte größer als in seiner Erinnerung und hatte in dieser Umgebung an Bedeutung gewonnen: der Monitor für die Herzstromkurve, die vielfarbigen Signallampen, der Infusionsständer, die Schläuche für die Sauerstoffzufuhr, der EKG Schreiber, optische und akustische Funktionsanzeigen - es war eine Tatsache, dass diese Maschinen nur für ihn da waren.
„Sie können ihn ruhig anfassen“, sagte die Schwester, die eine freundliche helle Kinderstimme hatte.
Dennoch scheute sich Tom, den Körper zu berühren. Eine halbe Armlänge neben ihm blieb er stehen. Unter dem Laken gurgelte plötzlich etwas wie die letzten Wasserdampfstöße einer Kaffeemaschine. Gleich darauf zog süßlicher Gestank durch den Raum. Tom deutete auf die Stelle, wo der Geruch seiner Meinung nach herkam.
„Ich glaube, er hat was gemacht.“
„Dann gehen Sie bitte für einen Moment raus, damit wir Ihren Vater versorgen können.“
Als er auf dem Gang hinaustrat, um dort zu warten, dachte er wieder an Belle. Was war mit Belle?
Schon nach dem zweiten Besuch wusste er nicht mehr, was er im Krankenhaus sollte. Die Maschinen waren die Einzigen, die Zugang zum Vater hatten. Auch die Mutter sagte: „Man kann nichts für ihn tun.“
Trotzdem saß oder stand sie neben seinem Bett, die kühle Hand ihres Mannes hatte sie in ihre Hände genommen. Manchmal rief sie seinen Vornamen, als wollte sie ihn aus einem Mittagsschläfchen zum Nachmittagskaffee rufen.
Warten. Das hatten die Ärzte der Mutter als erstes beigebracht.
Tom hatte sich seit einiger Zeit bei dem Gedanken ertappt, ob es nicht besser wäre, wenn der Vater stürbe. Er dachte an das Leid seiner Mutter, er dachte an dieses aufwendige Hin und Her und er dachte daran, dass der Oberarzt angedeutet hatte, dass der Vater nie wieder ein normales Leben würde führen können – was immer das heißen mochte. Irgendwie kam es ihm vernünftig vor, wenn sein Vater stürbe, da seine Zeit abgelaufen war. Danach würde man alles in Ruhe ordnen und Lösungen finden. Man brauchte auf nichts mehr Rücksicht nehmen. Jedenfalls nicht auf den engstirnigen Geiz des Vaters, nicht auf seinen Starrsinn, den auch die Mutter immer wieder beklagt hatte, seine Intoleranz, seine schroffe Art, seine Abgestumpftheit, was neue Entwicklungen – nicht nur in der Floristik – anging, seine unbegreifliche Selbstgerechtigkeit und seine ewige Ablehnung gegenüber seinem einzigen Sohn…
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9
Feb
2009
4711
Das magst du

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Das magst du: tief in deinen alten Liegestuhl gedrückt
schauen wie nackte Füße die Gischt weiter tragen
bunte Drachen, die scharfkantig die Luft zerteilen
ein Schnittmusterbogen der Himmel
eine Windböe, jäh wie Möwenflug
über den kräuselnden Wellen und Sand
so hell wie das Haar deiner Tochter im Sommer
wenn es verborgene Falten füllt.
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Das magst du: das unaufgeregte Verschwinden
der Zeit, auf der Haut noch die Salzwärme der Luft
wenn gegen Abend die Wälder im Rücken des Hauses
dunkel werden und alles Licht sich über dem Meeressaum
versammelt, Zeichen für Suchende: Da
müsst ihr hin.
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Gedichte für Kinder
8
Feb
2009
Jüdische Lebenswelten
Max Ernst
Interview mit Wolfgang Joop
Mode und Biografie
7
Feb
2009
Früher
und ich wäre mit ihr auf dem Dampfboot der alten
River-Queen den Mississippi hinunter bis New Orleans
wir hätten auf dem Achterdeck gestanden sie im weißen
Seidenkleid und der kleine Sonnenschirm
dreht sich vom Fahrtwind in ihrer Hand ich
in einem samtroten Frack der mir tadellos zu Gesicht steht
rechts und links Baumwollfelder und die Niggerkinder
winken uns fröhlich zu die gute alte Bessie jedoch
brummt ärgerlich wenn ich ihre Taille umfasse
Zenitnah stehen Perseus und Cassiopeia
dieser Himmel wird von romanischen Bögen gestützt
das Gotische ein Fremdkörper auferlegt dieser Stadt
von der ganzen gottverdammten Nation
wir stehen über dem Museumsufer dort
überquert die Linie 7 die rostigen Wasser
ein Schubverband der keine Baumwollballen trägt
deine Taille die weder romanisch ist
noch gotisch noch sanft und sittsam
gewiegt vom Mississippi
Ol’man river is rolling along die Sklaverei
zwischen uns kein Thema
6
Feb
2009
Kleinbürger - Großbürger?
Gemachte Anmut?
Das war es auch, was Tom geradezu magisch anzog und Belle durch die Innenstadt bis zu ihrem Laden im Belgischen Viertel folgen ließ: diese andere Art sich zu bewegen. Doch als er Belle einmal davon erzählte, lachte sie nur.
"Was du gesehen hast, ist nichts als der Ausdruck unerbittlichen Drills. Was du natürliche Anmut nennst, ist in Wirklichkeit Handwerk.“
Tom war geradezu empört über diese Abwertung: „Das glaube ich nicht. Nie und nimmer! Und das will ich auch nicht glauben, Belle! Es gehört zu dir! Sicher ist es angeboren! Tausend Prozent!"
Belle schaute ihn mit einem leicht spöttischen Ausdruck im Gesicht an. „Der Gedanke gefällt dir nicht, weil du ein Mann bist. Weißt du, Tom, offensichtlich ist dir da etwas entgangen. Du hast mich nie diesen Drill trainieren sehen.“
„Aber wenn ich sehe, wie du dich bewegst… ja es ist angeboren! Das ist so ganz und gar offensichtlich!“ Dann überlegte er noch einmal. „OK, eigentlich ist es mir auch egal, wie es entstanden ist. Oder?“
Die Beine Stück um Stück einander leicht kreuzend nahm ihr Schritt die Bewegung des ganzen Körpers auf, erwies sich nicht bloß, da es aufdringlich wirken müsste, als simple Fortsetzung nur eines Teils der Muskulatur, und sei dieser, Hüfte, Becken oder Gesäß, im Einzelnen auch noch so beeindruckend –
Mit unbeirrbarer Sicherheit nahm sie auf diesen Runways ihren Weg. Kein Flash, der sie erschreckte, keine Kamera, die sich enttäuscht abkehren musste. Belle schien den Augenblick vorauszusehen, wenn eine Linse es darauf anlegte, mit ihr zu plaudern. Erst im Verlauf des zweiten Jahres, als man ihr mehr und mehr Einladungen ins Haus schickte, schraubte sie das Tempo etwas zurück.
Einmal hatte sie ihm ihre Setcard gezeigt, aus ihrer aktiven Zeit als Model, mit einer Mischung von Stolz und Selbstzufriedenheit und ein paar selbstkritischen Anmerkungen.
93-62-92
Während Tom darin blätterte und sich die Fotos ansah, stand sie in ihrem Ankleidezimmer, das einen beachtlichen Teil des Schlafzimmers einnahm. Ein Raum, der mit hohen Schiebetüren abgeteilt war, dahinter offene und geschlossene Schränke, ausziehbare Fächer, Kartons, Schubladen. Alles, soweit Tom sehen konnte, fein säuberlich geordnet. Belle war nackt bis auf einen schwarzen Slip und hielt ein dunkelblaues Kostüm prüfend in die Höhe. Sie hatte irgendeinen Termin. Dann wählte sie eine passende Bluse aus, wofür sie eine Weile brauchte. Es war seltsam für ihn, Belle in solche Maße gepresst zu sehen. Belle freilich hatte kein Problem damit.
"Gibt es etwas", sagte sie, ohne sich bei ihrer Auswahl stören zu lassen, "dass selbstverständlicher ist in unserer Branche, dass unmittelbarer Auskunft gibt über die Verhältnisse, als die nackten Zahlen, die Konfektionsgröße und Industrienorm betreffen?" Danach lachte sie ein kleines selbstironisches Lachen, das selten bei ihr war und Tom unangenehm berührte. Belle bemerkte es. "Du bist ein Romantiker, Tom. Oder noch schlimmer: ein melancholischer Mensch! Laufsteg, Runway, Catwalk, das heißt nicht viel und meist ist es eher banal. Figur und was du darunter verstehst - das ist gut und schön, aber was mich angeht, mein Lieber, war der Schlüsselreiz für die Branche nicht so sehr mein Körper, sondern mein Haar! Meist bin ich gebucht worden, weil man diesen Latino-Typus mit europäischem Einschlag wollte."
Ihr Haar war nachtschwarz, von ungemein kräftiger Struktur und zeitweise überaus störrisch. Belle erlaubte ihm ab und an, ihr behilflich zu sein, wenn sie es wusch. Tom war dann glücklich. Er liebte es, die Fülle aus ihrer sanft gewölbten Stirn zu streifen zu einem Helm, der bis über die Schultern reichte. Reichlich warmes Wasser. Noch mehr warmes Wasser. Belle schloss in Wonne die Augen. Die Kraft der Spiralfedern schien für kurze Zeit gebändigt.
Mit nassen, gebändigten Haaren maß sie eins sechsundsiebzig. Dazu kamen sechzig Kilo Idealgewicht, verteilt auf die heilige Dreieinigkeit.
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Künstlerpaare
5
Feb
2009
Kleider 1
Gänge am Abend
zurzeit blicke. Also, ladylikekandis, oops, nanou, elke... da hätte ich vielleicht etwas...
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Die Gänge am Abend, wenn wir den
Randkanal ein Stück entlang seines
ausgedehnten Halbkreises begleiten -
Unser Leben an Baum bestandenen,
mit Hecken bewachsenen
Rändern.
Auffällig allein die Gravitation
(artist in residence)
stummer Begierden.
4
Feb
2009
Kein Alb-Schreiber
Gebildet, aber ohne Job?
kommen irgendwie unter - doch der Weg ist steinig"
Interessanter Artikel von Sönke Abeldt zu einer Studie im Auftrag des Bildungsministeriums. Hier lesen...