30
Dez
2008

Silvesternacht (Amsterdam 2000)

Draußen schon unentwegtes Knallen, nicht vereinzelt,
sondern in Schockwellen. Die Familie hatte selbst
gebeizten Lachs mit Salat und Brot. Danach
(vor der Runde mit den neuen Gesellschafts-
spielen) die drei Damen auf dem schmalen
Sofa: Sie liest Updike's Golfträume, ihre
Ältere Stüwers Quintius in Rom und
die jüngere Tochter Härtlings Mit Clara
sind wir sechs
.

Der Hausherr liest von Wellershoff Der Liebes-
wunsch
. Die drei Damen auf dem Sofa lachen
vereinzelt infolge ihrer eigenen Lektüre.
Sie scheinen für den Moment rundum zufrieden.
Er lacht nicht. Trotzdem, ein gutes Jahr.

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Siehe auch Die schöne Jüdin>

28
Dez
2008

Bekassinen

bekass1Paris war zwar lausig kalt, aber überwiegend mit einem blauen Himmel gesegnet. Ich habe die Stadt nach vielen Jahren wieder gesehen und schon im Vorfeld wurde mir wieder bewusst, dass sie mich auch literarisch beschäftigt hat: in der längeren Erzählung Bekassinen (die im Band 'Die Liebe am Nachmittag' enthalten ist).

Es geht um zwei junge Frauen, deren 'Roadmovie' im Paris der 80er Jahre, in einer Wohnung nahe des Place de Vosges beginnt. Während des Fluges nach Paris kam mir der Gedanke, eine Fortsetzung zu schreiben, die 20 Jahre später spielt, in der die beiden Frauen zufällig wieder aufeinander treffen - jetzt aber mit Partnern und Familie, arriviert und überaus angespannt, was über die gemeinsamen Erlebnisse dieser Zeit bekannt werden könnte. [© Eine Aufnahme des amerikanischen Fotografen Bill Schmoker (http://www.schmoker.org/BirdPics)]

Insofern spielte es für mich auch eine Rolle, die Schauplätze wieder aufzusuchen, die vor 20 Jahren eine Rolle spielten: vor allem natürlich der Louvre mit Caravaggios 'Wahrsagerin', der Place du Tertre, der Place des Vosges, aber auch der Friedhof Montparnasse. Im Grunde war mir, als müsste ich all diese Örtlichkeiten bereithalten können, sofern sich die beiden Frauen, Svea und die Ich-Erzählerin, entschlössen, sie nach 20 Jahren noch einmal aufzusuchen...


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B e k a s s i n e n


Heute vertrage ich die Luft von Paris nicht mehr. Nach wenigen Tagen muss ich in Gegenden, wo man wieder frei atmen kann. Damals musste ich bleiben. Ich studierte Architektur und Kunstgeschichte und sammelte Stoff für meine Abschlussarbeit, die von der Stadtplanung im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts handeln sollte.

Manchmal werde ich noch gefragt, warum ich die Arbeit nicht fertig gestellt habe. Mutter machte mir deshalb heftige Vorwürfe. Vater setzte für eine Weile die monatliche Überweisung außer Kraft: Damit ich es mir, wie er in seiner kühlen Art mitteilte, in Ruhe überlegen könne.

In Paris wohnte ich bei einem französischen Geschäftsfreund von Vater. In den Sommermonaten lebte er mit seiner Familie im Süden, und es war ihm angenehm, wenn die Wohnung in dieser Zeit nicht leer stand. Die Concierge wusste von meiner Ankunft und verschaffte mir Zutritt. Sie gab mir eine Codekarte für das elektronisch gesicherte Schloss und einen verschlossenen Umschlag, der die Geheimnummer enthielt. Die Wohnung nahm den zweiten Stock des Hôtels aus dem 17. Jahrhundert ein, das im Herzen des Marais, unweit des Place de Vosges, in einer Seitenstraße lag. Eingangshalle und Treppenhaus waren mit Marmor ausgeschlagen. Die Luft dort empfing mich angenehm kühl.

Ich betrat die Zimmer und fand sie in einem fast vollständigen Rechteck um den Innenhof angelegt. Meist hielt ich mich in der Küche auf und arbeitete am Küchentisch, blätterte in Bildbänden und Monografien, die ich mir besorgt hatte, und schrieb meine Hefte voll mit Anmerkungen. Anders als die eleganten Empire-Möbel, mit denen dir übrigen Räume ausgestattet waren, erinnerte mich das blank gescheuerte Holz des Tisches an den Hof meines Großvaters, auf dem ich meine Kindheit verbracht hatte.

Ich schlief nicht in dem Zimmer, das für mich vorbereitet war, sondern auf einem der Sofas in dem saalartigen Wohnraum, wo sich meine Atemzüge verloren und mich das Alleinsein nicht gleich bedrückte. Manchmal stand ich nachts auf, machte Feuer im Kamin und stöberte in der Bibliothek, deren Leder- und Leinenbände bis zur Decke reichten. Der Schlüssel zum Weinkeller fehlte (der leere Platz am Bett war mir gleich aufgefallen), aber im Vorratsraum neben der Küche gab es einen Weinkühlschrank. Dort lagerten einige Dutzend Flaschen, und ich öffnete, was mir in die Hände fiel.
Tagsüber hielt ich mich in der Sorbonne auf und, bis auf die Montage, an denen das Museum geschlossen blieb, in einer Abteilung des Louvre, die wissenschaftlicher Arbeit vorbehalten war. Einmal hatte ich Lust, mich einfach mit dem Strom der Besucher treiben zu lassen, und so war es unvermeidlich, den Saal zu betreten, in dem das bekannteste Bild Leonardos ausgestellt ist: Mona Lisa.

Ich sah das millionenfach verbreitete Bild zum ersten Mal aus der Nähe, ohne dass es mich weiter beeindruckte. Dann aber, im Weitergehen, machte ich, seltsam angezogen, vor einem Caravaggio halt: Es war 'Die Wahrsagerin', ein Jugendwerk des Malers: eine Gegenüberstellung von Zigeunerin und jungem Adligen, die, obwohl in jeder Hinsicht verschieden, einander auf schicksalhafte Weise verbunden wirkten.

WahrklDiese Frau war ich. Die Zigeunerin war mir nicht nur ähnlich, sondern in ihren Zügen, in ihrer ganzen Art ich. Von da an rührte ich die Aufzeichnungen und Notizen meiner wissenschaftlichen Arbeit nicht mehr an, sondern kümmerte mich nur noch um das Bild.

Ich hatte in einem der Warenhäuser in der Nähe der Opéra einen Falthocker mit grobem Stoffbezug gekauft, den ich mitnahm, um die Stunden vor dem Gemälde angenehmer zu verbringen. Die Museumsaufseher zeigten sich anfangs erstaunt über mein Verhalten. Sie waren es zwar gewöhnt, dass Kunststudentinnen oder -Studenten mit einem Skizzenblock erschienen. Aber eine junge Frau, die Tag für Tag kam und sich in einigem Abstand vor einem der Bilder auf einen dreibeinigen Hocker niederließ, die Beine übereinander schlug, den Rock zurechtzupfte und nur ab und zu Notizen in ein schmales Heftchen machte: das war neu.

Als ich am vierten Tag den Salle des Etats betrat, die Aufseher, die Dienst versahen, durch ein leichtes Senken des Kopfes gegrüßt, dann meinen allmorgendlichen ersten Gang zur Zigeunerin unternommen hatte und eben dabei war, den Hocker aufzustellen, trat, wie ich vermute auf ein verabredetes Zeichen hin, ein Angestellter des Louvre auf mich zu, sprach mich auf französisch und, als ich nicht gleich reagierte, in akzentbeschwertem Englisch an und bat um eine Unterredung.

Ich folgte ihm eine Weile durch weniger belebte Gänge. Der Mann war groß, über einsneunzig, und auf eine schlotternde Art schlank. Trotz des heißen Augusttages trug er einen dunklen Anzug, Krawatte und ein bis zum Hals geschlossenes Hemd. Wie er so einen Schritt vor mir her ging, kam er mir lächerlich vor.

Wir betraten ein kleines Büro, wo er mir Kaffee und eine Zigarette anbot. Dann fragte er gleich, warum ich mich jeden Tag so lange vor dem Bild aufhalte.

Ich wies ihn auf die Ähnlichkeit mit der Zigeunerin hin. Er hatte sie bemerkt, empfand sie aber nicht als ungewöhnlich. Dergleichen kommt vor, sagte er. Die Kunstgeschichte hält schließlich eine Fülle von Bildern bereit, und wir haben hier im Louvre jeden Tag Tausende von Besuchern, die auf sie treffen.

Er lächelte mir, ein wenig herablassend, zu und schien damit sagen zu wollen, dass ich nicht die erste war, der so etwas passierte, dass ich aber, wenn ich unbedingt wollte, mit meinen Beobachtungen fortfahren sollte.

Zum Abschied gab er mir seine knochige Hand.
Wenn Sie Erfolg haben bei Ihren Nachforschungen, sagte er, lassen Sie's mich wissen?

Ihm war bei aller routinierten Höflichkeit eine Spur Melancholie in die Stimme gerutscht, so als wollte er mir schonend beibringen, dass sich die Sache am Ende vermutlich in nichts auflösen würde.

Ich kehrte also zur Zigeunerin zurück, und die Museumsaufseher behandelten mich seitdem fast wie ihresgleichen. Sie verstanden mich zwar nicht, aber sie ließen es mich auch nicht spüren, wenn ich mich in ihren Augen lächerlich machte.

(…)

Ein paar Straßen weiter wohnte seit kurzer Zeit Svea, eine junge Schwedin, die für ein Jahr als Sprachstudentin nach Paris gezogen war. Ich lernte sie beim Einkaufen kennen, als sie nicht gleich verstand, was eine Verkäuferin von ihr wollte. Ich übersetzte für sie, und so kamen wir ins Gespräch. Sie war so, wie man sich eine Schwedin vorstellte: hübsch, blond, mit einem langen Zopf, der bei ihr gar nicht kindlich wirkte, und lebhaften blauen Augen, die mich neugierig anschauten. Wir verständigten uns in Englisch, das sie leidlich sprach.

Hin und wieder begegneten wir uns auf der Straße. Schließlich verabredeten wir uns, um gemeinsam ins Kino zu gehen oder in ein Konzert. Einmal lud ich sie zu mir zum Essen ein. Seltsamerweise gefielen ihr die Wohnung und deren Einrichtung. Jedenfalls behauptete sie das, obwohl ich erzählt hatte, wem sie gehörte.

Wir mochten uns. Sie war jünger als ich, und ihre wortkarge Zuneigung lenkte mich für eine Weile selbst von der Zigeunerin ab. Ihre Familie lebte am Polarkreis, an der Grenze zu Norwegen, wo ihr Vater ein Sägewerk besaß.

Wie ist es da? wollte ich einmal von ihr wissen.
Sie antwortete: Wie hier.
Warum bist du dann weggegangen?
Sie zuckte mit den Achseln: Ich weiß nicht, sagte sie.
Ein anderes Mal fragte ich, ob sie schon den Louvre gesehen habe.
Nein.
Ich lud sie ein, mit mir zu hinzugehen. Doch sie schien nicht sehr interessiert. Sie erzählte aber, dass an diesem Tag der Unterricht ausgefallen sei: die Lehrer waren unterwegs als Wahlhelfer für die Sozialisten.

An einem Abend in der Woche besuchte sie ein kleines Bistro, in dessen Hinterzimmer die Versammlung einer politischen Studentenvereinigung stattfand. Einmal begleitete ich sie. Obwohl ich mehr mitbekam als Svea, verstand ich nicht, um was es eigentlich ging. Jedenfalls diskutierte man heftig und lautstark, ohne sich durch mich stören zu lassen.

Nachher wollte sich ein Mann, der mir gegenübergesessen hatte, mit mir verabreden.
Ich weiß nicht, sagte ich, was Svea dazu sagt.
Die lachte, umarmte mich, wie sie es zuvor noch nie getan hatte, und rief dem Kerl zu: Sie ist meine Freundin! Siehst du das nicht? Sie geht nur mit mir!

Nach einiger Zeit ergab es sich, dass wir miteinander schliefen. Es war aufregend, für uns beide. In solchen Nächten lag ich lange wach, aufgewühlt darüber, was ich empfunden hatte und was da in mir vorging.

(...) in: Die Liebe am Nachmittag, Liebesgeschichten, Kiepenheuer & Witsch

26
Dez
2008

Thomas Jefferson

Gia fragt danach, was es zum Abendessen gibt. Da die Putenbrust endlich weg muss, schlage ich Putenbrust mit Paprika und Gurke vor. Aus dem Wok.
Gia wünscht sich allerdings Pfannkuchen. Ihre Schwester Janine wäre damit sogar einverstanden. Patrizia sowieso.
Außerdem muss Gia ein Referat zum Frauenbild Thomas Jeffersons im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg machen.
Aus einem seiner Briefe geht hervor, dass er das Wahlrecht für Frauen ablehnte, weil sich dann die angestammten Aufgaben von Männern und Frauen verwischten.
Patrizia sagt: Das heißt nur, dass er Schiss hatte, etwas von seiner Macht abzugeben. Gia versteht es noch nicht.
Ich erkläre ihr also, dass ich es wahrscheinlich auch nicht toll fände, wenn der weibliche Teil der Familie so ohne weiteres wählen könnte, was es zum Abendessen gibt.

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Gia, Janine und natürlich Patrizia sind Figuren aus meinem Roman 'Patrizia sagt'

25
Dez
2008

Ein Automobil der Zukunft

Ich habe Post von Natanael Sijanta bekommen und mich sehr darüber gefreut. Natanael ist der Leiter des internationalen Mercedes-Benz-Teams, das ein völlig neues Fahrzeugkonzept entwickelt. Er hat mich eingeladen, das Team bei seiner weiteren Arbeit zu begleiten.
Patrizia sagt: Dies freut uns umso mehr, als deine eigene Arbeit glasklar in diese Richtung geht.

Natanael schrieb mir: "Unser Leben stellt uns ständig vor wachsende Herausforderungen im privaten, sozialen und beruflichen Umfeld. Der Wunsch nach individueller Freiheit und Selbstverwirklichung wächst. Aber oft ist es schwierig, die eigenen Wünsche mit den Anforderungen des Umfelds in Einklang zu bringen. Immer mehr Menschen begegnen dieser Herausforderung bewusst. Ihr Anspruch ist es, diesem scheinbaren Widerspruch mit neuen Antworten und Lebenskonzepten auf hohem Niveau gerecht zu werden. Ohne Kompromisse - egal ob im Beruf oder im Privatleben. Diese Menschen folgen nicht den Standarts, sie setzen neue - ihre eigenen. Noch nie wurde ein Automobil mit dem Blick auf diese Menschen und ihre Ansprüche konzipiert und gebaut."

Da ich selbst seit geraumer Zeit an einer Geschichte über einen Entwicklungsingenieur eines großen Autokonzerns arbeite, kann ich Natanaels Überlegungen sehr gut nachvollziehen: HANS SCHERER ist ein großer, gut aussehender Mann mittlerer Jahre, der von seinem Unternehmen die Aufgabe bekommt, sich Gedanken über Sicherheitssysteme zu machen, für ein Automobil der Zukunft. Das Unternehmen schickt dabei immer wieder einmal Mitarbeiter in alle möglichen Weltgegenden, um sich in einer ungewohnten Umgebung über dieses Auto der Zukunft Gedanken zu machen. Hans Scherer wird nun nach Achill Island geschickt, der größten irischen Insel, im äußersten Nordwesten gelegen. Karg, rau, menschenleer.

Das Problem ist, dass er seine beiden kleinen Kinder mitnehmen muss. Georg ist vier und Sabine sechs. Denn vor einigen Monaten hat die Familie nach langer Krankheit Margarethe verloren: Hans Scherers Frau, die Mutter der Kinder.

Mit seinen Kindern kommt er nun aus einer mitteleuropäischen Großstadt auf das abgelegene Achill. Schon zuvor hatte Hans große Schwierigkeiten im alltäglichen Umgang mit den Kindern. Jetzt kommt die ungewohnte Umgebung hinzu, die gänzlich andere Anforderungen hat, was Einkaufen und Ernährung, Freizeit und Spiel und natürlich seine Arbeit angeht.

Hans war in den letzten Minuten, als seine Frau starb, nicht anwesend (obwohl sie es sich gewünscht hatte). Er glaubt deshalb, versagt zu haben und hat die tief wurzelnde Angst, bei nächstbester Gelegenheit wieder zu spät zu sein - gerade auch was seine Kinder angeht. Denn die Insel hält eine Reihe von Gefahren bereit: das Moor, die See, hohe Cliffs. Scherer, der seine privaten Sicherheitssysteme verloren hat, muss sich nun auf der Insel Gedanken über die Sicherheitssysteme für ein Automobil der Zukunft machen. Doch nach dem Tod seiner Frau fühlt er sich wie ein Kugellager, das leck geschlagen ist.
Aber wie es immer ist in solchen Situationen (in einer guten Geschichte): Hans lernt andere Menschen kennen, die ihm weiterhelfen: zwei Frauen - allerdings wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Und damit, sagt Patrizia, fängt das eigentliche Problem erst an...

Ich glaube, man kann leicht erkennen, wie ähnlich die Ansätze sind. Und so sehe ich einer Zusammenarbeit mit Natanael Sijanta in freudiger Erwartung entgegen. Ich werde ihn über die Entwicklung von Hans Scherer auf dem Laufenden halten und hoffe andererseits, in Zukunft viel über die Fortschritte der Entwicklung des 'Grand Sports Tourer' zu erfahren. Vor allem wie er vom Zeichenbrett auf die Straße kommt und wie das internationale Mercedes Benz Team die scheinbaren Widersprüche zwischen Privatleben und Beruf auf der einen und die Kompromisslosigkeit in der Formfindung auf der anderen Seite gelöst hat.
Patrizia sagt, sie gehe wirklich davon aus, dass ich dabei eine Menge lernen kann.

23
Dez
2008

Was braucht man

weissesgeschirrWas braucht man: Arme, Beine, Haut,
um zu lieben. Eine Beschreibung von Pri-
märem, Sekundärem, Scheide und Glied.

Das weiße Geschirr, das immer weniger wird,
ohne dass wir wissen wann noch warum.



(Abbildung Jörg Feldhusen)

21
Dez
2008

Das Schicksal von Roger Willoughby

Was das Schreiben angeht, so fühle ich mich nicht selten meinen Einfällen (und den Zeiten, in denen sie kommen) ausgeliefert.
Das heißt nicht, dass ich mich nicht gerne ausliefere.
Im Gegenteil: Dieses Ausliefern ist ein wesentlicher Teil der Glückssuche, mit der dieser Beruf natürlich auch zu tun hat.
Ein Hollywood-Streifen von 1964 kann das vielleicht verdeutlichen: Es ist eine Komödie von Howard Hawks und der deutsche Titel lautet: 'Ein Goldfisch an der Leine'.
Jedenfalls gerät am Ende des Films unser Held Roger Willoughby (gespielt von Rock Hudson) in einen anhaltend starken Regen. Eigentlich ist es mehr ein Wolkenbruch, der erst den Boden durchnäßt, dann Rinnsale entstehen läßt, deren Richtung man noch einzeln verfolgen kann, die letztlich aber zu etwas anschwellen, das alles überflutet und mit sich reißt.

So ist das mit dem Schreiben.

Nun behaupte ich nicht (wie ich schon sagte), dass ich mich nicht gerne ausliefere... Doch vielleicht erst noch einmal zu Roger Willoughby: Er treibt nun auf einem extrem wackligen Floß auf einen großen See hinaus. Allerdings liegt nun an seiner Seite Abigail Page, die chaotischste Frau der Welt, die er (wie ihm nicht zu spät bewusst geworden ist) liebt. Außerdem ist es Nacht.
Unter diesen Umständen wird er auf Rettungsversuche ("Roger Willoughby! Wollen Sie, dass wir kommen und Sie retten?") gelassen antworten: "Nein, Mr. Catwolleder (der sein Boss ist) , ich will nicht gerettet werden!"

Wie gesagt: So ist das mit dem Schreiben.

20
Dez
2008

Schreibtisch

Die Arbeit eines Schriftstellers an seinem Schreibtisch ist erschreckend erlebnisarm (nicht unbedingt sein Leben). Ich habe nie Tagebuch geführt und habe das auch nicht vor, wahrscheinlich, weil ich mich zu einem unmittelbaren Schreiben über J.L. angehalten sähe und weiß, dass ich über meine Erfahrungen schon mittelbar in vielen Rollen und Figuren meiner Geschichten schreibe. Dieses romanhafte 'lügnerische' Schreiben hat (im Gegensatz zum Gestus des Tagebuchs) etwas mit Verbergen zu tun - wobei mir selbst undeutlich ist, was genau das zu Verbergende ist. Ich bin vermutlich auch gar nicht scharf darauf, es herauszufinden (bzw. ich bin zu feige, es zu tun), weil dieser Gedanke (nämlich das im Unbewussten 'Verborgene' herauszufinden und zu benennen) als treuen Begleiter stets die begründete Furcht mit sich trägt, dann vielleicht Abschied vom Schreiben nehmen zu müssen - das bekanntlich wesentliche Impulse aus dem Unbewussten erhält.

Schreiben ist in diesem Sinne für mich eine Flucht vor der Selbsterkenntnis - zugleich aber auch in vielfältiger Weise eine ziemlich lange Reise dorthin. Denn wenn über die Jahre relativ kontinuierlich so etwas wie ein 'Werk' entsteht, bilden sich für den aufmerksamen Leser (das muss nicht zuerst der Autor selbst sein) eine Reihe von Konstanten heraus, wie sie in den Beschreibungen, Dialogen, Handlungsverläufen und Örtlichkeiten immer wieder auftauchen.

Was ich sagen will, ist, dass ich mich als Autor vor allem auch angebunden fühle an die Lebensumstände meiner Kindheit und dass die Jahre eines langen Erwachsenen- und Autorenlebens mich immer wieder dazu führen, diese Prägungen und ihre zweifellos schicksalhaften Bedingungen zu 'bearbeiten'.

19
Dez
2008

Was es immer geben wird

Das Jahr geht zuende, und es war literarisch gesehen nicht sonderlich erfolgreich. Es hat alte Enttäuschungen fortgeschrieben, allerdings auch neue Hoffnungen gebracht. Und zugleich hat es ein deutlicheres Bewusstsein für den Beruf und sein Handwerk, für die solide Verankerung des ureigenen Geflechts "struktureller Phantasie" gebracht (wie Dieter Wellershoff es genannt hat) - und tiefere Einsichten in die auch von den Wechselfällen des Glücks begrenzten Möglichkeiten. Passend zum Jahresende ist mir der Text 'Was es immer geben wird' untergekommen.

Sternenh1'Was es immer geben wird' ist schon 1990 entstanden. Ich lebte damals mit meiner Familie in Frechen bei Köln und wurde für ein Jahr Stadtschreiber in Baden-Baden. In dieser Zeit pendelte ich häufig zwischen der kleinen Industrie- und der mondänen Bäderstadt. Dabei entstand - buchstäblich zwischen diesen beiden Endpunkten - auf der Fahrt im Intercity das Prosagedicht. Es versucht, Phänomene des Alltags, wie sie sich in den beiden sehr unterschiedlichen Städten zeigen, mit den Mitteln literarischer Sprache zu beschreiben.
Auf der Basis dieses Textes habe ich 1992 beim SDR ein gleichnamiges Hörstück realisiert. Es ist eine inhaltlich und formal komplexe Arbeit, in der die literarische Sprache der Vorlage ergänzt, kommentiert, zurecht gerückt wird durch über 100 O-Töne aus Interviews, die in Frechen und Baden-Baden sowie auf der Fahrt zwischen den beiden Städten entstanden sind.

Zum Hörspiel gibt es eine drei Minuten lange Kostprobe als mp3-Download icon
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Erzählen

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Belle Oppenheim
Frederik Biografiearbeit Southern Belle
Johanna Tweets
Demenz Carl Kleider 1989
Patrizia Alzheimer Frechen
ich artist in residence
Gia Böll Köln

Amélie
Narff
Gedichte Johnny 2001
Bettina Leipzig Alltagsbetreuer Liebe am Nachmittag Haiku

:::::::::::::::::::::::::::::::: Jochen Langer lebt und arbeitet als Autor in Köln. Er war als Dozent für die 'Grundlagen des Erzählens' zuständig und hat eine Vorliebe für Literaturaktionen. Zahlreiche Förderpreise und Auszeichnungen. www.jochenlanger.de ----- Seit 2009 Alltagsbetreuer für demenziell Erkrankte, Dozent an Fachseminaren der Altenpflege und Museumsführer für Demenzkranke. Gründung von dementia+art - ein Dienstleistungs-Unternehmen für 'Kulturelle Teilhabe bei demenziellen Erkrankungen und altersspezifischen Einschränkungen'. www.dementia-und-art.de

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Eine Liebesszene
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HansP - 28. Jun, 21:57

_____________________ Meine Kommentare

Danke für deine Antwort,...
Danke für deine Antwort, Lady! Dass sie nie zusammen...
JochenLanger1 - 2. Apr, 23:14
Ich hätte ja gern gewusst,...
Ich hätte ja gern gewusst, wie du (und andere) das...
JochenLanger1 - 2. Apr, 17:00
Kaffeehaus-Essenz.
Auch ich habe Ihren Kommentar gerne gelesen, weil er...
JochenLanger1 - 31. Mär, 09:04
Die Reise des Helden
Nein, das ist nicht begriffsstutzig, sondern auch mein...
JochenLanger1 - 30. Mär, 21:29
Nicht für das oben beschriebene...
Nicht für das oben beschriebene Vorhaben. Ansonsten...
lamamma - 29. Mär, 23:12

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Gershwin: Rhapsody in Blue-An American in Paris


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