24
Feb
2009

Haiku

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Kunst Bewegung
der man Form gegeben hat
die Kritzeleien der Kinder
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Die Twosome-Briefe 8

bagrasbagras

[Mittwoch, 2. Mai 2001]

Lieber Johnny,

diese Luft, mmh, und dieses Grün auf den Fairways! Ich könnte die ganze Welt umarmen und mich dabei drehen. Ach, wie gern hätte ich in den 1. Mai hinein getanzt! Aber Gottvater, mein Crewplaner, hat von oben zu mir gesprochen: Liebe Amélie, deine Frühlingsgefühle sind mir wurscht! Also, einmal Teneriffa und zurück! Du weißt, wovon ich rede, Johnny: Ich bin um Mitternacht nach Hause und todmüde in mein Bett.

Aber als ich dann heute auf den Platz kam, zu der markierten Stelle, unter den überhängenden Birkenzweigen, nicht wahr, da war ein hübscher kleiner Vogel. Wie so einer heißt, weiß ich nicht: ich habe ihn Pierrot genannt, weil er schwarz und weiß war, mit einem langen gezackten Schwanz und einem spitz zulaufenden Schnabel. Ich war also nicht allein. Pierrot hat gewartet, bis ich komme und meinen Platz einnehme.

Dank dafür sagt

Amélie

Das tun nur die Deutschen

Gestern am späten Abend die alten Bilder auf NDR: wie die DDR-Flüchtlinge in der Tschechoslowakei in Scharen versuchen, über den rückwärtigen Zaun der westdeutschen Botschaft in Prag zu klettern, Männer, Frauen, Kinder, um auf nicht-sozialistischen Boden zu kommen, in die Freiheit, die sie sich wünschen.

Das trifft mich unversehens wie eine kleine Schockwelle. Denn seit ein paar Tagen arbeite ich wieder an diesem Kapitel in meinem Roman 'Reichstage' - nachdem ich bereits vor Jahren vor Ort recherchiert habe. Ich habe außen vor dem hohen Eisengitter gestanden und ich wurde von einem freundlichen Mitarbeiter der Botschaft durch die Räumlichkeiten und den Garten geführt, der gar nicht so groß ist und damals doch Tausende von Menschen beherbergen musste.

Ich durfte auch auf den Balkon, von dem der damalige Außenminister Genscher den Wartenden noch in der Nacht mitgeteilt hatte, dass ihre Ausreise unmittelbar... und der Rest ging fast schon in unglaublichem Jubel unter.

Ich gebe hier einmal den Anfang des Kapitels ins Netz, der, untypisch für den Roman, einer Nebenfigur für einen Moment eine eigene Perspektive gibt: es ist András, einer der tschechoslowakischen Polizisten, die zur Sicherung der Botschaft eingesetzt sind.

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Ein Katz und Maus-Spiel! Von allen Seiten tauchten die Deutschen aus der DDR auf und versuchten aufs Botschaftsgelände zu kommen. Als vorne endlich dicht war, begannen sie hinten über den Zaun zu klettern. András gehörte zu den tschechischen Polizisten in Uniform, die die westdeutsche Botschaft im Palais Lobkowicz bewachten. Dazu kam eine Reihe von Kollegen in Zivil. Trotzdem verstand er nicht, was er offiziell mit diesen Leuten tun sollte. Er und seine Kollegen konnten zwar einige davon abhalten, für eine Stunde oder einen Tag, wenn’s hoch kam. Aber dann versuchten sie es erneut, mit neuen Tricks und mit noch mehr Entschlossenheit.

Die umliegenden Straßen waren inzwischen durch Autos und Motorräder mit dem DDR Kennzeichen praktisch unpassierbar geworden. Man hatte sie einfach stehen lassen, sobald es nicht mehr weiter ging. Vor dem hohen Gitter, das den Garten der Botschaft umgab, lagen Haufen von sperrigen Gepäckstücken, Koffer, Taschen, Kinderwagen, unnütz gewordenen Ballast.

Mittlerweile kamen jeden Tag Hunderte. Obwohl András den Befehl hatte, einzugreifen, wenn jemand an ihm vorbei wollte, breitete er nur die Arme aus, als wollte er die Gänse des Großvaters scheuchen, wenn sie wieder einmal in den Hausgarten eingebrochen waren. Dabei war es schon damals, für den kleinen Bub, eine schier unlösbare Aufgabe gewesen. Die eigensinnigen Tiere ließen sich nur begrenzte Zeit in Schach halten.

András war jetzt seit 17 Jahren Polizist. Er war mittelgroß und hatte einen dunklen Bartwuchs, der sein Gesicht älter machte. Seit einigen Jahren litt er unter Durchblutungsstörungen in den Beinen, was seine Bewegungen nach langem Stehen steif wirken ließ. Am liebsten würde er einfach weggehen. Er war der unsinnigen Befehle müde, und er fühlte auch keine Kraft mehr, so etwas wie Aktivität vorzutäuschen, wenn ein Offizier in der Nähe war. Er war der Beschimpfungen müde, die er von beiden Seiten des Zauns erdulden musste, ohne sie genau zu verstehen. Er versuchte den schlimmsten Handgreiflichkeiten zu entgehen – und er hütete sich zu lange den Blick darauf zu richten, was für Szenen sich dort im Garten der Botschaft abspielten. Er verstand nicht, wie es dazu hatte kommen können.

Wieder bog eine ganze Familie in den Weg ein, der zwischen dem Botschaftszaun und dem Burgberg verlief. Sie wurde von einem noch relativ jungen Mann angeführt, der ein buntkariertes Hemd trug, das auch András für einen schönen Sonntagnachmittag am Moldauufer gefallen hätte. Draußen vor der Stadt, wo man sich nicht zwischen den Touristen verlor. Wo die Kneipen nicht so teuer waren. Der Mann schob im Laufschritt einen geschlossenen Kinderwagen vor sich her, so schnell man das über den grob gepflasterten, von Gräsern durchbrochenen Weg nur konnte. Ein paar Meter hinter ihm lief seine Frau mit einem kleinen Jungen auf dem Arm, den sie fest an sich drückte. Die Frau trug ein leichtes weites Sommerkleid, dessen Rocklänge ihr nun beim Laufen hinderlich war. Immer wieder verfing sich der Stoff zwischen ihren Beinen, sodass sie für einen Moment eine Hand von dem Kind lassen musste, um das Kleid zu Recht zu ziehen. Einzelne Strähnen der langen braunen Haare klebten ihr im Gesicht. Als sich für einem kurzen Moment ihre dunkel glänzenden Augen mit András‘ forschendem Blick kreuzten, sah er einen abgehetzten, ängstlichen Ausdruck, der ihn gleich für sie einnahm.

Am liebsten möchte er zu ihr sagen, dass sie keine Angst vor ihm zu haben braucht. Stattdessen breitete er mit einem unverständlichen Lächeln, das um Vergebung bettelte, erneut die Arme aus und zischte im Stakkato der in Fleisch und Blut übergegangenen Befehle: “Das ist Sperrgebiet! Hier können Sie nicht durch! Gehen Sie von hier fort, bitte!“
Doch auch diese Menschen waren nicht anders als die anderen: Sie verstanden sein Tschechisch nicht. Sie hörten auch gar nicht zu, sondern versuchten gleich über den Zaun zu klettern. Und auf der anderen Seite warteten schon irgendwelche DDR-Deutsche, um ihnen dabei zu helfen.

Von der Straße her tauchte erneut eine Gruppe auf. Darunter eine dicke ältere Frau. András hatte keine Vorstellung, wie man die über den Zaun hieven wollte und hatte sogar ein bisschen Angst davor, dass man es versuchen würde. Der Familienvater hockte mittlerweile oben auf dem Zaun, der mindestens zwei Meter hoch und mit Spitzen bewehrt war, und nahm das Kind entgegen, das seine Frau ihm so weit wie möglich entgegen reckte.
András hätte sie eigentlich abdrängen müssen. Aber das brachte er nicht fertig. In der Schule hatten sie einmal einen Film über die Deutschen im Krieg sehen müssen: die Besetzung des Landes, die Herrschaft der Gestapo, die Vernichtungslager. Das, was ich hier tun müsste, fuhr es ihm durch den Kopf, das tun nur die Deutschen.
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:::::::::::::::::::::::::::::::: Jochen Langer lebt und arbeitet als Autor in Köln. Er war als Dozent für die 'Grundlagen des Erzählens' zuständig und hat eine Vorliebe für Literaturaktionen. Zahlreiche Förderpreise und Auszeichnungen. www.jochenlanger.de ----- Seit 2009 Alltagsbetreuer für demenziell Erkrankte, Dozent an Fachseminaren der Altenpflege und Museumsführer für Demenzkranke. Gründung von dementia+art - ein Dienstleistungs-Unternehmen für 'Kulturelle Teilhabe bei demenziellen Erkrankungen und altersspezifischen Einschränkungen'. www.dementia-und-art.de

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_____________________ Meine Kommentare

Danke für deine Antwort,...
Danke für deine Antwort, Lady! Dass sie nie zusammen...
JochenLanger1 - 2. Apr, 23:14
Ich hätte ja gern gewusst,...
Ich hätte ja gern gewusst, wie du (und andere) das...
JochenLanger1 - 2. Apr, 17:00
Kaffeehaus-Essenz.
Auch ich habe Ihren Kommentar gerne gelesen, weil er...
JochenLanger1 - 31. Mär, 09:04
Die Reise des Helden
Nein, das ist nicht begriffsstutzig, sondern auch mein...
JochenLanger1 - 30. Mär, 21:29
Nicht für das oben beschriebene...
Nicht für das oben beschriebene Vorhaben. Ansonsten...
lamamma - 29. Mär, 23:12

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