Eine Totenrede
Ruthenbeck spricht selbst, den Körper hoch aufgerichtet wie stets, das Gesicht alt aber straff und streng mit sich selbst, das dunkelblonde, ins grauweiße changierende Haar sorgfältig zur Seite gekämmt, er trägt keine Uniform, aber seine Auszeichnungen und Orden aus vierzig Jahren DDR heften an der Brust.
Er beginnt mit einem Satz, der gleich die meisten seiner Zuhörer anrührt wie eine geheime Losung und in den Bann zieht: „Ich habe eine gute Kameradin verloren!“
Dann umreißt er die langen Jahre, die er mit seiner Frau zusammen war, anhand von Etappen der Parteigeschichte: die KP der Weimarer Republik, die KP im Moskauer Exil, die KP im Krieg auf der Seite der sowjetischen Brüder, der Aufbau einer Parteibasis in der sowjetischen Zone, die Gründung der SED und die aktive Teilhabe an der großen und grundsätzlichen Gesellschaftsveränderung – die bis zum heutigen Tage andauere.
Er schließt mit dem Satz, der schon einmal die große Trauergemeinde berührt hat: „Ich habe eine gute Kameradin verloren!“
Auf Wunsch des Generals werden Teile aus den ‘Nocturnes‘ von Chopin gespielt, Lieblingsstücke der Mutter, die das freut aber auch verlegen macht. Die beiden stehen nach der Beerdigung etwas abseits beisammen: sehr aufrecht und bemüht, die Distanz, die zwischen ihnen verblieben ist, auch jetzt einzuhalten. Und doch sieht Frederik an den sparsamen Bewegungen und Gesten, die weicher und ruhiger geworden sind, dass ihre Art einer langjährigen Vertrautheit, alle Hast und Anspannung verloren hat.
Als Frederik dem General kondoliert, hat er den Eindruck, dass diesen schon andere Dinge beschäftigen, private und politische. Er hat keine Gelegenheit, Ruthenbeck in diesen Tagen unter vier Augen zu sehen.