13
Mrz
2009

Das ist nur die Liebe schuld

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„Willst du Schluss machen?”
„Und du?”
Johanna seufzte leise, enttäuscht, dass er seine Meinung nicht sagte. Sie selbst hatte sich vorgenommen aufrichtig zu sein: “Weißt du, ich habe immer Angst, dass du irgendwann zu deiner Familie zurück...”
Carl räusperte sich. Doch darauf konnte er erst recht nichts antworten. Er war ja nie von seiner Familie fortgewesen. Wenn er mit Johanna zusammen war, dachte er manchmal an Keto und Sabinchen. Wenn er jedoch zu Hause war, hatte er Sehnsucht nach Johanna.
„Manchmal”, hörte er sich sagen, “habe ich schon gedacht, dass es erniedrigend ist, wie wir es tun müssen...”
Johanna merkte, wie ihr heiß wurde. Sie wusste, dass sie dann gewöhnlich rote Flecken im Gesicht und am Hals bekam und war froh, dass Carl es nicht sehen konnte.
„Was meinst du?”
„Ich möchte die ganze Nacht mit dir zusammen sein. Oder den ganzen Tag. Und ich möchte mich nicht immer umschauen müssen, wenn ich mir dir rede, ob uns vielleicht gerade jemand sieht oder hört...”
„Glaubst du, dass Keto etwas ahnt?”
„Ich weiß, dass ich anders zu ihr bin, seit ich dich kenne.“ Er lachte und es klang irgendwie selbstzufrieden. “Sie denkt, dass ich zurzeit besonders rücksichtsvoll bin.”
„Und? Hat sie recht?”
Er zögerte: “Es ist wahrscheinlich das schlechte Gewissen, verstehst du?”
“Ich möchte auch Tag und Nacht mit dir zusammen sein, Carl - aber wolltest du nicht, dass wir uns nicht mehr sehen?”
„Wieso?”
„Du hast gesagt, dass du Zeit fürs Geschäft ...”
„Das war nicht so gemeint.”
„Vielleicht könnten wir ein paar Tage wegfahren?”
„Ja. Das wäre schön.“

Sie wussten beide, dass das nur so dahin gesagt war. In Wahrheit gab es keine Chance für sie, so etwas zu tun. Eigentlich gab es überhaupt keine Chance für sie. Alles war auf Betrug aufgebaut. Deshalb war es auch besser, nicht darüber nachzudenken und nicht darüber zu reden.

Dann freilich wurde ihm bewusst, dass all das, was sie jetzt beschäftigte, auf ihrer Liebe beruhte. Die war schuld daran, dass sie logen und betrogen, ihre Kinder und ihre Arbeit vernachlässigten, ganz selbstverständlich und ohne wirkliche Skrupel. Das alles war die Liebe schuld. Aber er hatte in diesem Augenblick keine Ahnung, wie er es Johanna sagen sollte, dass sie beide keinerlei Schuld traf. Im Grunde wusste er auch nicht, was es genutzt hätte.

„In Prag musste ich an dich denken“, sagte Johanna. „Es war seltsam mit all diesen fremden Menschen um mich herum. Ich musste an uns beide denken, was wir mit unserem Leben machen.”
„Weiß du“, sagte Carl, „ich will alles haben: dich und meine Arbeit und...”
Aber mehr zählte er nicht auf.
Eigentlich sollte sie jetzt danach fragen, ob er wirklich noch ein Kind wollte, weil Keto davon gesprochen hatte. Stattdessen fragte sie, eine unüberhörbare, hautwarme Gier in ihrer Stimme: “Willst du mich sehen?”
„Ja. Ich will dich vögeln.”
Er betonte es mit einer solchen inneren Bewegtheit, dass es keinen Zweifel daran geben konnte.
„Ich will dich auch”, sagte Johanna etwas leiser, weil sie fürchtete, sonst das Geräusch des sanften Regens zu übertönen.
„Vielleicht kann ich mich heute Abend für eine Stunde frei machen?”
„Ja. Gut. Wo?”
„Im Geschäft. Ich sage Keto, dass ich noch etwas fertig machen muss.”
„Ich liebe dich!“ sagte sie.
Und obwohl Johanna es in den Hörer geflüstert hatte, war sie über sich selbst erschrocken, wie über einen Fauxpas, der ihr in einem Meeting unterlaufen war.
Doch ohne zu zögern sagte nun auch Carl: “Ich liebe dich, Johanna. Ja. Ich liebe dich!”
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Die Twosome-Briefe 22

bagrasbagras
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[Mittwoch, 18. Juli 2001]

Lieber Johnny,

ich habe dich schon vermisst! Ich weiß nicht, wie es bei dir war: aber was für ein Mistwetter ist hier! Trotzdem bin ich häufig raus auf den Platz, weil ich hoffte, dort allein zu sein. Auch heute. Ich habe mir von Andy den Umschlag geben lassen und deinen Brief gelesen, es sind ja doch Briefe. Ich habe mich in die nächste Ecke gestellt wie ein schüchternes Schulmädchen und gelesen, hastig, um so schnell wie möglich alles zu erfahren, dann noch einmal, mit dem Finger Zeichen abfahrend wie Verse. Danach schaue ich mir das Foto an, um die Balllage zu identifizieren. Meist ist es ja nicht so schlimm wie du schreibst.

Ich schaue durchs Fenster, als könntest du dort auftauchen. Es regnet. Nein, es gießt in Strömen. Niemand geht jetzt auf den Platz. Aber jede dunkle Gestalt dort draußen könntest du sein. Dann ziehe ich meinen Regenanzug an, der schwarz ist mit gelben Doppelstreifen (falls du mich beim nächsten Regen suchen willst). Ich setze den Regenhut auf, drücke ihn ganz tief in die Stirn. Und dann werfe ich mir das Bag über die Schultern und ziehe los.

A.

Die Twosome-Briefe 21

bagrasbagras
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[Montag, 16. Juli 2001]

Liebe Amélie,

wegen des Feiertags war ich eine Woche in den Staaten. Hab meine Mam besucht und Tomcaville. Da kommen Erinnerungen hoch… Ich war zweimal verheiratet. Das ist ziemlich viel. Und doch wenig, wie ich finde, weil ich tatsächlich die Frauen, mit denen ich zusammen lebte, auch geheiratet habe. Ich fand das in Ordnung so.

Du weißt, ich stamme aus dem Mittelwesten. In die Wiege gelegt war mir eher ein Farmerleben. Aber da gibt es bei uns die kleinen Maschinen, von denen aus die riesigen Felder mit Pflanzenschutzmitteln besprüht werden. Die Jungs, die die Kisten flogen, holten die aberwitzigsten Flugmanöver aus ihnen heraus. Schon als kleiner Junge stand ich da, beschattete meine Augen gegen den blauen KansomJunihimmel, um den Maschinen zu folgen und riss den Mund weit auf, wenn sie plötzlich über dem Haus auftauchten. Das wollte ich auch können.

Als ich etwas älter war, nahmen mich die Piloten manchmal mit. Mit roten Backen und zerzaustem Haar über unsere Felder. Mein Traum vom Fliegen, der schon fast in Erfüllung gegangen war. Über solche Felder bin ich später nie geflogen – es sei denn in dreißigtausend Fuß Höhe. Aber irgendwann habe ich den Sprung in die ganz großen Vögel geschafft – zu dieser Zeit sicher der wichtigere ’Traum’.

Einen herzlichen Gruß sendet dir

Johnny
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Erzählen

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:::::::::::::::::::::::::::::::: Jochen Langer lebt und arbeitet als Autor in Köln. Er war als Dozent für die 'Grundlagen des Erzählens' zuständig und hat eine Vorliebe für Literaturaktionen. Zahlreiche Förderpreise und Auszeichnungen. www.jochenlanger.de ----- Seit 2009 Alltagsbetreuer für demenziell Erkrankte, Dozent an Fachseminaren der Altenpflege und Museumsführer für Demenzkranke. Gründung von dementia+art - ein Dienstleistungs-Unternehmen für 'Kulturelle Teilhabe bei demenziellen Erkrankungen und altersspezifischen Einschränkungen'. www.dementia-und-art.de

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_____________________ Meine Kommentare

Danke für deine Antwort,...
Danke für deine Antwort, Lady! Dass sie nie zusammen...
JochenLanger1 - 2. Apr, 23:14
Ich hätte ja gern gewusst,...
Ich hätte ja gern gewusst, wie du (und andere) das...
JochenLanger1 - 2. Apr, 17:00
Kaffeehaus-Essenz.
Auch ich habe Ihren Kommentar gerne gelesen, weil er...
JochenLanger1 - 31. Mär, 09:04
Die Reise des Helden
Nein, das ist nicht begriffsstutzig, sondern auch mein...
JochenLanger1 - 30. Mär, 21:29
Nicht für das oben beschriebene...
Nicht für das oben beschriebene Vorhaben. Ansonsten...
lamamma - 29. Mär, 23:12

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