Das ist nur die Liebe schuld
„Willst du Schluss machen?”
„Und du?”
Johanna seufzte leise, enttäuscht, dass er seine Meinung nicht sagte. Sie selbst hatte sich vorgenommen aufrichtig zu sein: “Weißt du, ich habe immer Angst, dass du irgendwann zu deiner Familie zurück...”
Carl räusperte sich. Doch darauf konnte er erst recht nichts antworten. Er war ja nie von seiner Familie fortgewesen. Wenn er mit Johanna zusammen war, dachte er manchmal an Keto und Sabinchen. Wenn er jedoch zu Hause war, hatte er Sehnsucht nach Johanna.
„Manchmal”, hörte er sich sagen, “habe ich schon gedacht, dass es erniedrigend ist, wie wir es tun müssen...”
Johanna merkte, wie ihr heiß wurde. Sie wusste, dass sie dann gewöhnlich rote Flecken im Gesicht und am Hals bekam und war froh, dass Carl es nicht sehen konnte.
„Was meinst du?”
„Ich möchte die ganze Nacht mit dir zusammen sein. Oder den ganzen Tag. Und ich möchte mich nicht immer umschauen müssen, wenn ich mir dir rede, ob uns vielleicht gerade jemand sieht oder hört...”
„Glaubst du, dass Keto etwas ahnt?”
„Ich weiß, dass ich anders zu ihr bin, seit ich dich kenne.“ Er lachte und es klang irgendwie selbstzufrieden. “Sie denkt, dass ich zurzeit besonders rücksichtsvoll bin.”
„Und? Hat sie recht?”
Er zögerte: “Es ist wahrscheinlich das schlechte Gewissen, verstehst du?”
“Ich möchte auch Tag und Nacht mit dir zusammen sein, Carl - aber wolltest du nicht, dass wir uns nicht mehr sehen?”
„Wieso?”
„Du hast gesagt, dass du Zeit fürs Geschäft ...”
„Das war nicht so gemeint.”
„Vielleicht könnten wir ein paar Tage wegfahren?”
„Ja. Das wäre schön.“
Sie wussten beide, dass das nur so dahin gesagt war. In Wahrheit gab es keine Chance für sie, so etwas zu tun. Eigentlich gab es überhaupt keine Chance für sie. Alles war auf Betrug aufgebaut. Deshalb war es auch besser, nicht darüber nachzudenken und nicht darüber zu reden.
Dann freilich wurde ihm bewusst, dass all das, was sie jetzt beschäftigte, auf ihrer Liebe beruhte. Die war schuld daran, dass sie logen und betrogen, ihre Kinder und ihre Arbeit vernachlässigten, ganz selbstverständlich und ohne wirkliche Skrupel. Das alles war die Liebe schuld. Aber er hatte in diesem Augenblick keine Ahnung, wie er es Johanna sagen sollte, dass sie beide keinerlei Schuld traf. Im Grunde wusste er auch nicht, was es genutzt hätte.
„In Prag musste ich an dich denken“, sagte Johanna. „Es war seltsam mit all diesen fremden Menschen um mich herum. Ich musste an uns beide denken, was wir mit unserem Leben machen.”
„Weiß du“, sagte Carl, „ich will alles haben: dich und meine Arbeit und...”
Aber mehr zählte er nicht auf.
Eigentlich sollte sie jetzt danach fragen, ob er wirklich noch ein Kind wollte, weil Keto davon gesprochen hatte. Stattdessen fragte sie, eine unüberhörbare, hautwarme Gier in ihrer Stimme: “Willst du mich sehen?”
„Ja. Ich will dich vögeln.”
Er betonte es mit einer solchen inneren Bewegtheit, dass es keinen Zweifel daran geben konnte.
„Ich will dich auch”, sagte Johanna etwas leiser, weil sie fürchtete, sonst das Geräusch des sanften Regens zu übertönen.
„Vielleicht kann ich mich heute Abend für eine Stunde frei machen?”
„Ja. Gut. Wo?”
„Im Geschäft. Ich sage Keto, dass ich noch etwas fertig machen muss.”
„Ich liebe dich!“ sagte sie.
Und obwohl Johanna es in den Hörer geflüstert hatte, war sie über sich selbst erschrocken, wie über einen Fauxpas, der ihr in einem Meeting unterlaufen war.
Doch ohne zu zögern sagte nun auch Carl: “Ich liebe dich, Johanna. Ja. Ich liebe dich!”
.