Teenager
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Ein kleines, unaufwändiges Abendessen. Zum in Sahne und Weißwein gedünsteten Lauch gab es gedämpften Reis. Vorweg, auf die Hand, hatte Belle halbe Brotscheiben in Olivenöl gebraten, das mit gehacktem Knoblauch versetzt war. Als Frederik den Wein öffnete, bemerkte er, dass Belle ihm dabei zusah, scheinbar beiläufig - wie er das auch getan hatte, als sie den Knoblauch schälte und in kleine Stücke hackte.
Zum ersten Mal, seit er die Grenze überquert hatte, fühlte er sich im Westen wohl. Er hatte nicht mehr das Gefühl, in jedem Augenblick für das System zu stehen, für Sozialismus, Staatssicherheit, Politbüro, all das. Zum ersten Mal spürte er nicht mehr den übermächtigen Impuls, sich verteidigen zu müssen, selbst wenn er gar nicht angegriffen wurde.
Seit er mit Belle Buchmann zusammen war, machte er eine fortlaufende, ebenso metaphysische wie physikalische Erfahrung: in einer Reihe von lautlosen Explosionen wurde der Leerraum zwischen ihnen in die Luft gejagt. Er wusste nicht, ob er etwas dagegen tun sollte. Eigentlich musste er zurück nach Berlin, um dem General zu erklären, dass er das Päckchen verloren hatte. Dann würde er Ruthenbeck nach dem eigentlichen Adressaten fragen und nach dem Inhalt.
Belle stand schon viel zu lange neben ihm, um seinen leeren Teller fortzunehmen. Ohne weiter nachzudenken, zog er sie, den nachgiebigen Samt unter den Händen, noch näher zu sich heran, bis sich ihre Körper berührten. Für einen kurzen Moment genügte es ihm, mit seiner Stirn dicht unter ihrem Brustbein Halt zu finden, ein Augenblick der Ruhe in der Mitte der Welt. Dann stand er auf, langsam, auch atemlos, bis sich ihre Blicke ein wenig scheu begegneten. Sie küssten sich wie Teenager, vorsichtig, endlos und ungestüm.
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Siehe auch Reichstage