Gedichte

9
Feb
2009

Das magst du

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kueste2
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Das magst du: tief in deinen alten Liegestuhl gedrückt
schauen wie nackte Füße die Gischt weiter tragen
bunte Drachen, die scharfkantig die Luft zerteilen
ein Schnittmusterbogen der Himmel
eine Windböe, jäh wie Möwenflug
über den kräuselnden Wellen und Sand
so hell wie das Haar deiner Tochter im Sommer
wenn es verborgene Falten füllt.
.
Das magst du: das unaufgeregte Verschwinden
der Zeit, auf der Haut noch die Salzwärme der Luft
wenn gegen Abend die Wälder im Rücken des Hauses
dunkel werden und alles Licht sich über dem Meeressaum
versammelt, Zeichen für Suchende: Da
müsst ihr hin.
.

7
Feb
2009

Früher

Früher hätte man sie eine Southern Belle genannt
und ich wäre mit ihr auf dem Dampfboot der alten
River-Queen den Mississippi hinunter bis New Orleans
wir hätten auf dem Achterdeck gestanden sie im weißen
Seidenkleid und der kleine Sonnenschirm
dreht sich vom Fahrtwind in ihrer Hand ich
in einem samtroten Frack der mir tadellos zu Gesicht steht
rechts und links Baumwollfelder und die Niggerkinder
winken uns fröhlich zu die gute alte Bessie jedoch
brummt ärgerlich wenn ich ihre Taille umfasse

Zenitnah stehen Perseus und Cassiopeia
dieser Himmel wird von romanischen Bögen gestützt
das Gotische ein Fremdkörper auferlegt dieser Stadt
von der ganzen gottverdammten Nation
wir stehen über dem Museumsufer dort
überquert die Linie 7 die rostigen Wasser
ein Schubverband der keine Baumwollballen trägt
deine Taille die weder romanisch ist
noch gotisch noch sanft und sittsam
gewiegt vom Mississippi

Ol’man river is rolling along die Sklaverei
zwischen uns kein Thema

5
Feb
2009

Gänge am Abend

Wohin man auch blickt, tiefe Melancholie - zumindest bei den Blogs, auf die ich
zurzeit blicke. Also, ladylikekandis, oops, nanou, elke... da hätte ich vielleicht etwas...

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Die Gänge am Abend, wenn wir den
Randkanal ein Stück entlang seines
ausgedehnten Halbkreises begleiten -

Unser Leben an Baum bestandenen,
mit Hecken bewachsenen
Rändern.

Auffällig allein die Gravitation
(artist in residence)
stummer Begierden.

18
Jan
2009

Dieser Winter

Dieser Winter auf dem Diwan..
Kakao und Lebkuchen, was uns
zusammenhält. Dir zuzusehen,
wenn du Milch und das dunkle
Pulver mischst, während draußen
die Schneeflocken nicht wissen
wohin.

15
Jan
2009

Für Elke

Ich habe es schon einmal mit Wjatscheslaw Kuprianow gemacht: Angenähert an bestimmte Motive wie Nation, Generation, Heimat, Liebe, Natur, Kindheit stellten wir unsere oft sehr unterschiedlichen Erfahrungen gegeneinander. Wir präsentierten dieses Programm einige Male in der Öffentlichkeit des Künstlerhauses NRW in Schöppingen. Es waren (wie ich glaube) für alle Beteiligten beeindruckende Abende.

Seit einiger Zeit kenne ich nun die Gedichte von Elke, schätze sie sehr und bewundere den Sprachrhythmus und die Produktivität der Autorin. Bei ihrem aktuellen Text/Gedicht hatte ich gleich das Gefühl, dass sich hier vielleicht zwei ähnliche Erfahrungen überschneiden bzw. ergänzen. Und so erlaube ich mir nun, Elkes Gedicht ("Dein sanfter Atem neben mir") und meinen Text ("Landkarte") nebeneinander zu stellen.

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Landkarte


Eines der frühesten Bilder,
das Einzug hielt ins Haus war Peter
Brüssings Landkarte No. 34.
Irgendwann wanderte sie ab
ins Kinderzimmer.

Vielleicht kam mir die Welt
stets überschaubar vor,
weil wir mit Blick auf die einzige
Kreuzung der Stadt lebten.

Stürmische Zeiten.
Doch früher war der Himmel
ein Drache mit Feuer und Rauch.

J.L.


Dein sanfter Atem neben mir
Das kaum sichtbare Heben und Senken
Des Brustkorbs

Auf der Leine vorm Haus tanzt die Wäsche im Wind
Die kurzen Hosen, die zielstrebigen Hemden
Während du schläfst

Deine Locken auf dem Kissen mit den Enten
Nebenan kämpft Dein Bruder mit Drachen
Eure Pfirsichhaut durchduftet den Tag
Weil eure Hände noch die Welt fassen
Und nicht das Nichts der Gedanken

https://elkeerzaehlt.twoday.net

11
Jan
2009

Selhofer Straße

josalon

Wer hier fortging, sah auch Menschen, die blieben.
An Sonntagnachmittagen flogen
Federbälle über die Dächer, und
zur Kaffeezeit trafen sich alle
prüfenden Blicke.

Zeit war ein Fass mit schwerem Heizöl;
später eine Flasche,
halbgefüllt mit Benzin.
Der Fortschritt: ausgehöhlte
Pappschachteln
in einer staubigen Auslage,
nachgedunkelt die Vergangenheit,
ein Fleck über dem Volksempfänger,
uns eingebrannt wie das Kreuz
über der Tür.

.
Bis ich es genau wusste:
dass ich verlassen war unter allen,
blieb ich Kind, grüßte
Veteranen der Einsamkeit,
mit ihren knorrigen Spazierstöcken
und einem schleifenden Schritt, zurückgeblieben
von Gängen über erobertes Land.
Die Brüste der kleinen Mädchen wuchsen
hinter erleuchteten Fenstern, die ich verloren um-
strich, Bewohner einer anderen Welt.

Schlachttage, im Feuer der Erinnerung.
Grieben springen vom Rost
in den löchrigen Mund.
Unter den Fenstern der Häuser
versammelte sich die polypenarmige Ungeduld
der Katzen. Der Tod schritt stolz durch die Straße
und am helllichten Tag und unbehelligt von Zweifeln,
und Gott war unter der Ladentheke des Friseurs
und errötete, als ich sein gehorsames Kind
nicht mehr war.

9
Jan
2009

Grasbutter

Die vorherrschende Kälte erinnert mich an Amsterdam und die Niederlande zum Jahreswechsel von 2000/01. Ich hatte damals ein Stipendum und eine kleine Wohnung im Zuge des dt.-ndl. Kulturaustauschs. (s. Die schöne Jüdin) Nein, stimmt ja gar nicht! amster4Ich habe mich nicht an die damals herrschende Kälte in Amsterdam erinnert, sondern daran, dass ich in dem Gedicht Grasbutter auch über eine herrschende Eiseskälte geschrieben habe. Erst dadurch wurde mir dann klar, dass es wirklich sehr kalt gewesen sein muss, und dass die Grachten zum Teil zugefroren waren, als ich mich in Amsterdam aufgehalten habe.

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Grasbutter

Die sanfte Blonde, die so brav
bei ihrem flämischen Ehemann sitzt
der viel älter ist und aussieht wie einer dieser
Bierbrouwer, die in ihrer Freizeit Nachtwache schieben
vor den Häusern ihrer jungen Frauen.

Vielleicht hat er sich abbilden lassen, vereinigt
mit Gleichgesinnten in der ehrenhaften Kompanie
des Hauptmanns Soundso, nachzuprüfen,
gemäß einer langen Tradition, im Rijksmuseum.
Unter allen Gleichen, die sich dort versammelt hätten,
ist es der Lange mit der wehrhaften Nase -
Aber, was sie noch mehr schätzt, ist seine Verlässlichkeit.

Sie reibt sich die Wange beharrlich, bis sie
an einer Stelle rosenfarben aufscheint.
Das mag ein Zeichen sein.
Ihre Haut hat im Nacken wie an der Innenseite
der Schenkel gewiss den sanften Schmelz
von Grasbutter, von der man sich in diesem Land
etwas Besonderes verspricht.
Ihr Haar jedoch glänzt spröde wie das Gras in den Dünen
von Bergen aan Zee nach dem ersten Frost.

Über ihrer kalvinistischen Brust findet
mein Blick einen nicht geschlossenen Blusenknopf.
Sichtbar dort ein geometrisches Teil weißer Spitze.
Das wirkt so verdammt jungmädchenhaft
wie die ganze Person, wäre da nicht der schmale
goldene Ehering.

Sie studiert am Zeitungstisch, was ihr der Ehemann
vorlegt, wie besondere Happen, aber mit durchweg friedlicher Miene.
Erst als sie gehen, hilft sie sich selbst in den Mantel,
um ein Stück grasbutterzarte Haut an
der entblößten Hüfte zu zeigen.

Und dann kommt ihr Replay-Blick übers freie Feld,
der schimmerndes Eis über die Grachten schickt, wissend
um die Möglichkeiten und wohl wissend, dass es nicht trägt.

31
Dez
2008

Alfred ist tot

Alfred Freiherr von Oppenheim starb schon im Jahre 2005. Ich habe damals zahlreiche Nachrufe und eine Reihe von Todesanzeigen in den großen Tageszeitungen gelesen, darunter auch die der Familie, in der die Tennyson-Zitate zu finden waren. Relativ schnell keimte in mir den Plan zu einem eigenen Nachruf. In Form eines Prosagedichts ging es mir um die Frage, wie sich die Größe eines Menschen ermessen lässt. Angesichts der Weltwirtschaftskrise - die bekanntlich wesentlich durch Banken und Banker verursacht wurde - erscheint mir mein 2005 entstandener Text nun aktuell genug, um das Jahr 2008 literarisch damit zu beenden.
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mututoch Was ist über die Größe eines Menschen zu sagen?

Ich habe ihn nie gesehen. Alfred Freiherr von Oppenheim.
Patrizia* vielleicht, die ein paar Hausnummern weiter
arbeitet. Ein solider bürgerlicher Palast, auf einem Grund
den man nicht einfach Garten nennen darf.

Eine Ahnung davon kam auf, als Gartenbaukolonnen
die Straße verengten. Ein veritabler Tieflader, beladen
mit Schichten von Rollrasen. Zuvor hatten sich
Hunderte von bedeutenden Menschen versammelt
die den Oppenheimschen Rasen erstickten.

Was ist über die Größe eines Menschen zu sagen?

Wie er geliebt wurde?
Wie an ihn erinnert wird?

1789: die Gründung einer Bank durch Salomon.
Nur ein paar Tage vor Alfreds Tod der Aufstieg
zum größten privaten Bankhaus in Europa.

Liebe. Freundschaft. Sympathie. Dankbarkeit. Hochachtung. Respekt.

Er war unser Kapitän.

Die Anzeige seines Todes leitet ein mit englischen Versen
von Alfred Lord Tennyson, einen anderen
Aristokraten betreffend:
Ulysses.

Den Homer, sagt Patrizia, den Listenreichen nennt.
Doch Lord Tennyson war ein melancholischer Geist.

Was, fragt Gia*, ist ein melancholischer Geist?

Einer, sagt Patrizia, der beim Vorwärtsgeschobenwerden
noch rückwärts schauen kann.


"Obwohl uns viel genommen ist", heißt es bei
Oppenheim/Tennyson, "bleibt viel; und obwohl wir nicht
mehr jene Kraft sind, die in alter Zeit Himmel und Erde
bewegte, sind wir, was wir sind."

Die offizielle Trauer wird im Hohen Dom zu Köln ihren Platz finden,
wo ich Adenauer sah, nicht aber Böll.

Ehrensenator, Träger, Kommandeur, Präsident, Vorsitzender, Mäzen.

Was ist über die Größe eines Menschen zu sagen?

Sein Wille zur Gestaltung.
Dass den Worten
Taten folgen.

"Es nützt wenig", heißt es an anderer Stelle des Gedichts,
"dass ich als untätiger König an diesem stillen Herd,
zwischen diesen kahlen Klippen, verheiratet mit einer
alternden Frau, zumesse und austeile ungleiche Gesetze
einem unzivilisierten Volk, das hortet und schläft und frisst
und mich nicht kennt. Ich kann nicht rasten vom Reisen,
ich will das Leben trinken bis zum letzten Tropfen. Ich habe
es jederzeit sehr genossen, habe sehr gelitten, sowohl mit
denen, die mich liebten, als auch allein".


Alfred ist tot.

Wenn ich oder du sterben würde, sagt Gia, wäre da nur
ein klitzekleines Ding.



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*Figuren aus meinem Roman ‚Patrizia sagt'

30
Dez
2008

Silvesternacht (Amsterdam 2000)

Draußen schon unentwegtes Knallen, nicht vereinzelt,
sondern in Schockwellen. Die Familie hatte selbst
gebeizten Lachs mit Salat und Brot. Danach
(vor der Runde mit den neuen Gesellschafts-
spielen) die drei Damen auf dem schmalen
Sofa: Sie liest Updike's Golfträume, ihre
Ältere Stüwers Quintius in Rom und
die jüngere Tochter Härtlings Mit Clara
sind wir sechs
.

Der Hausherr liest von Wellershoff Der Liebes-
wunsch
. Die drei Damen auf dem Sofa lachen
vereinzelt infolge ihrer eigenen Lektüre.
Sie scheinen für den Moment rundum zufrieden.
Er lacht nicht. Trotzdem, ein gutes Jahr.

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Siehe auch Die schöne Jüdin>

23
Dez
2008

Was braucht man

weissesgeschirrWas braucht man: Arme, Beine, Haut,
um zu lieben. Eine Beschreibung von Pri-
märem, Sekundärem, Scheide und Glied.

Das weiße Geschirr, das immer weniger wird,
ohne dass wir wissen wann noch warum.



(Abbildung Jörg Feldhusen)
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Erzählen

.

Belle Oppenheim
Frederik Biografiearbeit Southern Belle
Johanna Tweets
Demenz Carl Kleider 1989
Patrizia Alzheimer Frechen
ich artist in residence
Gia Böll Köln

Amélie
Narff
Gedichte Johnny 2001
Bettina Leipzig Alltagsbetreuer Liebe am Nachmittag Haiku

:::::::::::::::::::::::::::::::: Jochen Langer lebt und arbeitet als Autor in Köln. Er war als Dozent für die 'Grundlagen des Erzählens' zuständig und hat eine Vorliebe für Literaturaktionen. Zahlreiche Förderpreise und Auszeichnungen. www.jochenlanger.de ----- Seit 2009 Alltagsbetreuer für demenziell Erkrankte, Dozent an Fachseminaren der Altenpflege und Museumsführer für Demenzkranke. Gründung von dementia+art - ein Dienstleistungs-Unternehmen für 'Kulturelle Teilhabe bei demenziellen Erkrankungen und altersspezifischen Einschränkungen'. www.dementia-und-art.de

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HansP - 28. Jun, 22:02
Eine Liebesszene
Budapest im Sommer 1989. Rosalind van Achten und Tom...
HansP - 28. Jun, 21:57

_____________________ Meine Kommentare

Danke für deine Antwort,...
Danke für deine Antwort, Lady! Dass sie nie zusammen...
JochenLanger1 - 2. Apr, 23:14
Ich hätte ja gern gewusst,...
Ich hätte ja gern gewusst, wie du (und andere) das...
JochenLanger1 - 2. Apr, 17:00
Kaffeehaus-Essenz.
Auch ich habe Ihren Kommentar gerne gelesen, weil er...
JochenLanger1 - 31. Mär, 09:04
Die Reise des Helden
Nein, das ist nicht begriffsstutzig, sondern auch mein...
JochenLanger1 - 30. Mär, 21:29
Nicht für das oben beschriebene...
Nicht für das oben beschriebene Vorhaben. Ansonsten...
lamamma - 29. Mär, 23:12

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